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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 45/2023

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

1.1 BSG, Urt. v. 21.06.2023 - B 7 AS 14/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Vermögensberücksichtigung - selbst genutztes Hausgrundstück - unangemessene Größe - Übernahme von Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur - Dachreparatur

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

Die Übernahme von Kosten zur Erhaltung der Immobilie ( hier Dachreparatur ) können auch bestehen bei einer unangemessene Wohnfläche in selbstbewohntem Wohneigentum.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/174557

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

2.1 LSG NRW, Beschluss v. 30.01.2023 - L 12 AS 1820/22 B ER, L 12 AS 1825/22 B

Bürgergeld: Die Vorlage einer aktuellen Mietbescheinigung nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3, § 65 SGB I ist zulässig und zumutbar.

Erlässt die Behörde einen Entziehungsbescheid für ALG 2, muss sie die entscheidungserheblichen Tatsachen mit allen zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu ermitteln, tut sie das nicht, ist der Bescheid rechtswidrig.

Allein die Weigerung des Antragstellers, ergänzende Angaben zu machen und eine aktuelle Vermieterbescheinigung vorzulegen, rechtfertigt keine Entscheidung nach § 48 SGB X ( Tacheles e. V. )

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Eine Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten des Betroffenen kann von Seiten der Verwaltung nicht dadurch begegnet werden, dass das Vorliegen oder Fehlen fraglicher Tatbestandsmerkmale quasi unterstellt wird. Vielmehr bleibt die Behörde auch in diesen Fällen verpflichtet, die entscheidungserheblichen Tatsachen mit allen zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu ermitteln. Für das Vorgehen der Antragsgegnerin, die Leistung aufzuheben, weil der Antragsteller die Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts verweigert hat, stellen die §§ 60 ff. SGB I ein eigenständiges Instrumentarium zur Verfügung, sind hier - aber nicht herangezogen worden.

2. Die Vorlage einer aktuellen Mietbescheinigung nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3, § 65 SGB I zulässig und zumutbar. Die Behörde hat sich jedoch bei ihrer Aufhebungsentscheidung gerade - nicht des Instrumentariums nach den §§ 60 ff. SGB I bedient.

3. Die Anwendung des § 66 Abs. 1 SGB I scheitert ferner daran, dass eine Leistungsversagung oder -entziehung nach dieser Norm niemals für die Vergangenheit, sondern stets nur für die Zukunft ausgesprochen werden kann.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/174558

 

2.2 LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 19.01.2023 - L 6 AS 44/21

Leitsätze


1. Ein Erstattungsanspruch nach Aufhebung eines Verwaltungsakts verjährt nur dann erst nach 30 Jahren, wenn ein weiterer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs während einer bereits laufenden Verjährung dieses Anspruchs bindend wird.

2. § 50 Abs 4 SGB X trifft eine Sonderregelung für die Verjährung des durch Verwaltungsakt festgesetzten Erstattungsanspruchs im Sinne des § 50 Abs 3 SGB X, die der Verjährungsregelung in § 52 Abs 2 SGB X vorgeht.

3. Eine Zahlungsaufforderung, die allein hinsichtlich der Festsetzung der Mahngebühren mit einer Rechtsbehelfsbelehrung verbunden ist, macht das Mahnschreiben nicht insgesamt zu einem Verwaltungsakt iS des § 52 Abs 1 S 1 SGB X.


Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/174575


Hinweis:
vgl. BSG, Urt. v. 04.03.2021 - B 11 AL 5/20 R - Ein Erstattungsanspruch nach Aufhebung eines Verwaltungsakts verjährt nur dann erst nach 30 Jahren, wenn ein weiterer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs während einer bereits laufenden Verjährung dieses Anspruchs bindend wird.

 

 

2.3 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.07.2023 - L 10 AS 311/19 - Revision zugelassen

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

Die Härtefallregelungen des § 23 Abs 3 Satz 6 Halbsatz 2 SGB XII müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen dahingehend ausgelegt werden, dass allein der Aufenthalt im Bundesgebiet einen Härtefall begründet bzw dass die Voraussetzungen der Härtefallregelungen bereits dann vorliegen, wenn der betroffene Unionsbürger die Vermutung eines Freizügigkeitsrechts für sich in Anspruch nehmen kann und die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht ergriffen hat, sein Aufenthalt also faktisch geduldet wird (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18 - Revision anhängig BSG- B 8 SO 7/19 R ).

Dem folgt der 10. Senat nicht.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/174546

 

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

leider keine.

 

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

4.1 LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19.10.2023 - L 9 AL 43/22

Corona-Pandemie: Auch ausländische Fluggesellschaften können Kurzarbeitergeld beanspruchen

Beschäftigten von ausländischen Fluggesellschaften, die aufgrund der Einschränkungen des Flugverkehrs während der Corona-Pandemie ihren Betrieb drastisch einschränken mussten, steht Kurzarbeitergeld in Millionenhöhe zu.

http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/pres ... /index.php

 

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Kinderzuschlag

5.1 LSG Hamburg, Urt. v. 06.07.2023 - L 4 BK 2/22 D

Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit einer Untätigkeitsklage

Orientierungssatz

1. Eine Untätigkeitsklage setzt nach § 88 SGG zu ihrer Zulässigkeit voraus, dass ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden werden kann.(Rn.24)

2. Hat der Antragsteller Kinderzuschlag nicht nur für einen, sondern für mehrere Monate des Bewilligungszeitraums beantragt, der Leistungsträger aber in unzutreffender Auslegung des gestellten Antrags die Voraussetzungen des Kinderzuschlags nur für einen Monat geprüft und diesen abgelehnt, so ist der Leistungsträger nach § 88 SGG zu verpflichten, den Antrag auf Kinderzuschlag für alle beantragten Monate zu bescheiden.(Rn.25)

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha ... E230053265

 

 

6. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

6.1 Existenzminimum ist nicht verhandelbar

Statement von Rechtsanwältin Eva Steffen, Mitglied des Ausschusses Migrationsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV)

In den vergangenen Tagen nahmen Vorschläge seitens der Politik zu, Sozialleistungen für Asylbewerber:innen zu senken – sei es durch Kürzungen, durch eine Beschränkung auf Sachleistungen, sogar durch Herabstufung auf bloße Reisekosten in einen anderen Dublin-Staat. Damit solle vermieden werden, „falsche Anreize“ für eine Einwanderung nach Deutschland zu setzen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt:

„Schon 2012 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Sorge vor angeblichen ‚Pull-Faktoren‘ keine Rechtfertigung für eine Absenkung der Leistungen biete: ‚Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.‘ Daran hat sich nichts geändert. Die aktuellen migrationspolitischen Pläne der Regierung widersprechen unseren grundgesetzlichen Werten.

weiter: https://anwaltverein.de/de/newsroom/existenzminimum-ist-nicht-verhandelbar

 

6.2 Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen überhöhter Belastungsgrenze für Zuzahlungen zu Krankenkassenleistungen - Beschluss vom 22. September 2023 - 1 BvR 422/23

Krankenkasse muss Heimkosten bei Zuzahlungen berücksichtigen

Heimbewohner, die Sozialhilfeleistungen zur Deckung ihrer Heimkosten erhalten, profitieren generell von geringeren Zuzahlungen zu Arzneimitteln und anderen GKV-Leistungen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am heutigen Freitag veröffentlichten Beschluss klargestellt.

Die entsprechende Gesetzesregelung ist danach nicht auf Hilfe zum Lebensunterhalt begrenzt, sondern umfasst insbesondere auch Empfänger von Hilfe zur Pflege.

Weiter: https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Geringere-Zuzahlungen-auch-fuer-Heimbewohner-mit-Hilfe-zur-Pflege-444305.html

s. a. Pressemitteilung: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-095.html

 

Hinweis: ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 23. März 2023 – L 1 KR 12/22 – Siehe dazu meinen Beitrag im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 36/2023 - Medikamente etc. – Bei Hilfe zur Pflege Zuzahlung von max. € 120,48 pro Jahr - ein Beitrag von RA Markus Karpinski

 

 

6.3 Wenn die Rente auf ein falsches Konto geht - Ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

Überweist die Deutsche Rentenversicherung (DRV) einem Rentner seine Rente auf ein von diesem nicht angegebenes Konto, muss sie das Geld vom Inhaber dieses Kontos zurückfordern und dem Rentenbezieher seine Rente unverzüglich erneut auf das richtige Konto überweisen.

weiter: https://sozialberatung-kiel.de/2023/11/04/wenn-die-rente-auf-ein-falsches-konto-geht/

 

 

7. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

7.1 Bayerisches Landessozialgericht – Beschwerdeverfahren vom 30.10.23 – Az.: L 8 AY 36/23 B ER

Normen: § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, § 1a Abs. 3 AsylbLG – Schlagworte: Kettenkürzung, Kausalität zwischen dem Verhalten des Betroffenen und der Nichtvollziehbarkeit der Ausreise, Bayerisches Landessozialgericht

weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2023/11/ ... 6-23-b-er/


Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

Es entspricht es dem Konzept des § 14 Abs. 2 AsylbLG, die Fortwirkung einer Pflichtverletzung zeitlich zu beschränken, am besten und erlaubt es, dem Einzelfall ausreichend Rechnung zu tragen, wenn statt von einer stets gleich langen Verlängerungsmöglichkeit für die Anspruchseinschränkung von der Möglichkeit einer Befristung auf bis zu sechs Monate ausgegangen wird. Dies erfordert dann aber sowohl eine nicht nur oberflächliche und formale Prüfung des Einzelfalls, sondern eine Berücksichtigung aller relevanten, vor allem bedarfsbezogenen Umstände, die in einer nicht nur formelhaften Begründung zum Ausdruck kommen muss.

Daran fehlt es hier ( vgl. dazu: Eine Leistungseinschränkung wird nur bei zeitlicher Begrenzung (z.B. über drei Monate mit maximaler Verlängerung auf sechs Monate innerhalb eines Jahreszeitraums) und keinesfalls dauerhaft und auch nicht langjährig für zulässig erachtet (Sächs-LSG, Beschluss vom 11.01.2021 – L 8 AY 10/20 B ER , zur Frage, ob § 14 Abs. 2 AsylbLG unbefristete Kettenanspruchseinschränkungen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausschließt - LSG Bayern, Beschluss vom 21.11.2016 – L 8 AY 31/16 B ER ).

 

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

 

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