Newsticker
Tacheles Rechtsprechungsticker KW 45/2024
1. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bafög
1.1 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. September 2024 - 1 BvL 9/21 -
BVerfG: Studentinnen und Studenten haben keinen Anspruch auf existenzsichernde BAföG-Höhe i.S.v. Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 GG
Hinweis von Herbert Masslau ( Sozialrechtler )
Laut BTDrs. 18/10337 werden Studenten-Haushalte zu 17 Prozent bei der EVS 2013
zur Ermittlung der Regelleistung SGB II / SGB XII berücksichtigt.
Laut destatis
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/08/PD24_N044_62.html
hat die Hälfte der Studenten-Haushalte ein Nettoäquivalenzeinkommen von 867 Euro mtl.
Also Zirkelschluß !!! ( Herbert Masslau )
2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem SGB II
2.1 BSG, Urt. v. 11.07.2024 - B 4 AS 14/23 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Kindergeldnachzahlung - einmalige Einnahme
Zum Verhältnis zwischen § 11 Abs 1 S 4, 5 SGB 2 und § 11 Abs 3 S 4 SGB 2 aF im Hinblick auf die Berücksichtigung einer Kindergeldnachzahlung für ein volljähriges Kind, das in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter lebt, als Einkommen.
Bundessozialgericht: Kindergeldnachzahlung ist einmalige Einnahme
Orientierungssatz Redakteur Detlef Brock
1. Die Kindergeldnachzahlung war nicht auf 6 Monate aufzuteilen, sondern als Einmalige Einnahme zu berücksichtigen.
2. Auch bei Nachzahlungen wie Kindergeld gilt, dass im Monat des Zuflusses die Versicherungspauschale in Höhe von 30 € nur - einmalig abgesetzt werden kann.
Jetzt Volltext: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Praxistipp:
Die Versicherungspauschale von 30,00 Euro ist bei einer Nachzahlung von Kindergeld für mehrere Monate nicht mehrfach in Abzug zu bringen ( Sächsisches LSG, Urt. v. 06.12.2022 - L 4 AS 939/20 - Anschluss an LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 8. September 2020 – L 7 AS 354/19 - ).
Anderer Auffassung zur Absetzung der 30 Euro Versicherungspauschale bei Kindergeldnachzahlung:
weiter im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 29/2024:https://tacheles-sozialhilfe.de/newsticker/tacheles-rechtsprechungsticker-kw-29-2024.html
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
3.1 LSG BB, Urt. v. 26.09.2024 - L 34 AS 36/23 -
Arbeitslosengeld II - Übernahme von Kosten für die Unterbringung Wohnungsloser
§ 22 Abs. 7 SGB II begründet keinen Zahlungsanspruch des Vermieters ( Wohnheimbetreiber eines Obdachlosen ) gegen den Leistungsträger (BSG, Urteil vom 09.08.2018 - B 14 AS 38/17 R - ) Orientierungssatz Redakteur Detlef Brock
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
Eine Kostenübernahmeerklärung mit dem Inhalt, dass diese "kein Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin bzw. dem Jobcenter und dem Unterkunftsanbieter begründet", scheidet mangels Rechtsbindungswillens des Grundsicherungsträgers als Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch eines Wohnheimbetreibers gegen den Grundsicherungsträger aus.
Bei einer Kostenübernahmeerklärung handelt es sich lediglich um eine Information über das grundsätzliche Bestehen eines die Wohnheimkosten einschließenden Hilfeanspruchs des Wohnungslosen sowie über die Abwicklung des Zahlungsverkehrs.
Es müssen besondere Umstände hinzutreten, um die Annahme der Begründung einer materiellrechtlichen Zahlungsverpflichtung des Grundsicherungsträgers gegenüber dem Wohnheimbetreiber zu rechtfertigen.
3.2 LSG BB, Beschluss v. 05.09.2024 - L 32 AS 739/24 B ER -
Bürgergeld:J obcenter vermutet bei Untermietverhältnis Bedarfsgemeinschaft rechtswidrig sagt das LSG
Untermieter und Vermieter bilden keine Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II
Jobcenter unterstellt rechtswidrigerweise eine Bedarfsgemeinschaft, weil das Jobcenter seiner Amtsermittlungspflicht nicht genügend nach kam.
Denn von dem Bestehen einer Partnerschaft ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung von BVerfG und BSG auszugehen, wenn eine gewisse Ausschließlichkeit der Beziehung gegeben ist, die keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt.
Zur Aufklärung des Sachverhaltes einer eheähnlichen Gemeinschaft oder eines Untermietverhältnisses ist die Nutzung sich aufdrängender oder beantragter Zeugenvernehmungen unverzichtbar (BSG, Beschluss vom 16.05.2007, B 11b AS 37/06 B -).
Annahme einer Bedarfsgemeinschaft scheidet danach hier aus.
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
- Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen in einem Wechselverhältnis: Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, desto so geringer sind die Anforderungen an den Anforderungsgrund und umgekehrt.
2. Nur ausnahmsweise können offene Geldforderungen aus der Vergangenheit zugleich wesentliche Nachteile bis zur Entscheidung in der Hauptsache und einen besonderen Eilbedarf begründen, insbesondere dann, wenn aus den fehlenden Geldmitteln aktuelle schwere, existenzbedrohende Nachteile für die Gegenwart oder den Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache drohen.
3. Zur Aufklärung des Sachverhalts einer eheähnlichen Gemeinschaft oder eines Untermietverhältnisses ist die Nutzung sich aufdrängender Zeugenvernehmungen unverzichtbar.
4. Eine Augenscheineinnahme ist keine Zeugenvernehmung oder Anhörung eines Beteiligten. Dies obliegt der Sachbearbeitung.
5. Bei einer Augenscheineinnahme muss die Befragung dem Zweck dieses Beweismittels dienen. Soweit verfahrenserhebliche Äußerungen erfolgen, sind diese möglichst genau und transparent zu protokollieren.
6. Der Ausspruch der vorläufigen Leistung von Bürgergeld im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stellt keine darlehensweise Gewährung im Sinne von § 26 SGB II dar, weshalb das Jobcenter für die zugesprochenen Zeiträume die Meldung bei der gesetzlichen Krankenversicherung vorzunehmen hat.
Rechtstipp Detlef Brock
Wann ist die Rechtsprechung vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft bei einem Untermietverhältnis ausgegangen?
Die Begründung eines Untermietverhältnis bestätigt das Bestehen einer Einstehensgemeinschaft, wenn sich eine Partei hierdurch zum vollständig haftenden Alleinschuldner gegenüber dem Wohnungsgeber macht ( so LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 5. Januar 2012 - L 10 B 331/10 ER - ).
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld
4.1 SG Lüneburg, Urt. v. 25.03.2024 - S 19 AS 392/23 -
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
Die Behörde trägt nicht die Kosten einer (erfolglosen) Untätigkeitsklage, wenn sie - auch bei bekannter Vertretung durch einen Rechtsanwalt - den Bescheid an den Betroffenen zustellt.
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
5.1 SG Lüneburg, Beschluss v. 12.07.2024 - S 38 SO 31/24 ER -
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
Die Auszahlung der pauschalen Vergütung von heilpädagogischen Leistungen (§ 79 SGB IX) nach der Regel-Leistungsvereinbarung für die Soziale Teilhabe im Leistungsbereich zwischen dem Land Niedersachsen und den Trägern der Eingliederungshilfe vom 06.07.2023 führt nicht dazu, dass bisher gewährte kompensatorische Assisstenzleistungen nach § 79 SGB IX wegfallen.
5.2 LSG BW, Urt. v. 18.04.2024 - L 7 SO 376/24 -
Sozialhilfe: Kein Anspruch auf Bekleidung und Wohnungserstausstattung für Inhaftierte
Wer in der Justizvollzugsanstalt (JVA) eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, hat keinen Anspruch auf Bekleidung und Wohnungserstausstattung vom Sozialhilfeträger ( §§ 31 u. 67 SGB XII ).
Der Sozialhilfeträger muss für Inhaftierte keine einmaligen Bedarfe wie Bekleidung oder Wohnungserstausstattung bezahlen, wenn die Justizvollzugsanstalt Bekleidung und Möbel bereit stellt ( Orientierungssatz Detlef Brock ).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
6.1 LSG Bayern, Urt. v. 10.09.2024 - L 8 AY 11/24 -
LSG Bayern: Keine Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 1a Abs. 3 AsylbLG - Es bestehen auch keine europarechtlichen Bedenken
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Zur Nachholung der nach Art. 28 BayVwVfG erforderlichen Anhörung.
2. Die Versäumung einer zu kurzen Anhörungsfrist führt nicht zur Präklusion von Vorbringen. Auch das nach Fristablauf eingegangene, aber noch im Widerspruchsverfahren erfolgte Vorbringen ist zu berücksichtigen.
3. Um dem Ausländer die leistungsrechtlichen Konsequenzen bewusst zu machen, muss die Leistungsbehörde ihm grundsätzlich aufzeigen, welches weitere Verhalten oder Unterlassen konkret von ihm gefordert wird, damit er die Anspruchseinschränkung abwenden kann (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung des Senats). Der Senat lässt offen, ob dies auch im Falle einer vollständigen Verweigerung der Mitwirkung gilt.
4. Kein Anspruch auf Analogleistungen bei fortdauernder Verweigerung der erforderlichen Mitwirkungshandlungen um den Aufenthalt in Deutschland zu verlängern. Dies stellt ein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten dar.
5. Es widerspricht dem allgemeinen Gedanken von Treu und Glauben, einerseits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens fortdauernd nicht mitzuwirken und sich andererseits danach darauf zu berufen, dass die Behörde im Bescheid bzw. im Rahmen der Anhörung keine konkreten Mitwirkungshandlungen vorgegeben hat.
6. Der Senat sieht keine Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 1a Abs. 3 AsylbLG.
7. Es bestehen auch keine europarechtlichen Bedenken.
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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock