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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 46/2019

1. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum SGB II

1. 1 BVerfG v. 05.11.2019 - 1 BvL 7/16

Hartz-IV-Sanktionen teilweise verfassungswidrig - Hartz-IV-Sanktionen müssen sofort entschärft werden

Das BVerfG hat entschieden, dass Leistungsminderungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Arbeitslosengeld II maximal bis zu 30% des Regelbedarfs möglich sind; die bisher möglichen Abzüge bei Verletzung der Mitwirkungspflicht um 60% oder 100% sind mit dem Grundgesetz dagegen nicht vereinbar.

Mit dem Grundgesetz unvereinbar seien Sanktionen unabhängig von ihrer Höhe, soweit der Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung auch im Fall außergewöhnlicher Härten zwingend zu mindern sei und soweit für alle Leistungsminderungen eine starre Dauer von drei Monaten vorgegeben werde, so das BVerfG. Das BVerfG hat die Vorschriften mit entsprechenden Maßgaben bis zu einer Neuregelung für weiter anwendbar erklärt.

Weiter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/bvg19-074.html und https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozesse-hartz-iv-sanktionen-muessen-sofort-entschaerft-werden-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191104-99-579243



Tachelesinfos: Folgen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen
Info für Betroffene und Beratungsstrukturen, weiter: https://tacheles-sozialhilfe.de/tickerarchiv/tacheles-e-v-:-folgen-aus-dem-urteil-des-bundesverfassungsgerichts-zu-den-sanktionen.html


Der neue Tacheles You Tube Kanal zum BVerfG Urteil:  https://youtu.be/CRIlR3BpFbs

Hinweise: Verfassungswidrigkeit von Sanktionen- wie geht es weiter? Und wann tritt Bestandskaft ein? Ein Beitrag von RA Kay Füßlein


weiter: http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=962



RA Volker Gerloff zur Sanktionsentscheidung des BVerfG via Facebook

weiter: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2361324004131470&id=1428328704097676&__tn__=K-R

Interview mit Roland Rosenow in Radio Dreyecksland, der mit für Tacheles beim BVerfG gegen die Sanktionen gestritten hat.

weiter: https://rdl.de/beitrag/ein-meilenstein-der-rechtsgeschichte



Bundesverfassungsgericht zu „Hartz IV“-Sanktionen, ein Beitrag von Herbert Masslau

weiter: http://www.herbertmasslau.de/bverfg-zu-sanktionen.html

Harald Thomé via Facebook: Die interne vorläufige Weisung der BA und des BMAS zu Sanktionen vom 6.11.2019

weiter: https://www.facebook.com/photo.php?fbid=1292589207568225&set=pcb.1292589277568218&type=3&__tn__=HH-R&eid=ARD4BA1X2jeNwJgTOCx-LJgRXllJk2L7g4wg2JdkYSf3g91PC7tHy635C4LdfdTM6BBn5tPxusPdoB22





Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 5. November 2019 (1 BvL 7/16):

Orientierungshilfe Dr. Manfred Hammel

1)  Die Regelungen in § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 SGB II („Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen“) in Verbindung mit § 31b SGB II („Beginn und Dauer der Minderung“) sind in den Fällen des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II („Pflichtverletzungen“) insoweit mit dem GG vereinbar, als der Gesetzgeber in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verhältnismäßige Pflichten auferlegt, um im Sinne von § 10 SGB II zumutbar an der Überwindung der eigenen Bedürftigkeit mitzuwirken. Auch die Entscheidung des Gesetzgebers, die in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II normierten Pflichten nach § 31a SGB II und § 31b SGB II, wenn nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II kein wichtiger Grund für ihre Nichterfüllung vorliegt, mit der Sanktion durchzusetzen, dass Leistungen in Höhe des für die Person maßgebenden existenzsichernden Regelbedarfs im Sinne des § 20 SGB II vorübergehend gemindert werden, hält sich grundsätzlich in seinem Gestaltungsspielraum. Die nähere gesetzliche Ausgestaltung der Sanktionen wird den hier geltenden, strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit jedoch nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht gerecht.

2)  Die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II normierte Höhe einer Leistungsminderung von 30 v. H. des maßgebenden Regelbedarfs im Fall der Verletzung einer Pflicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist nach derzeitiger Erkenntnislage für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

3)  § 31a Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB II sind nach derzeitigem Erkenntnisstand verfassungswidrig, soweit die Minderung wegen einer ersten wiederholten und einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres die Höhe von 30 v. H. des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt. Diese Regelung ist insoweit für mit dem GG unvereinbar zu erklären.

4)  § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 SGB II sind verfassungswidrig und mit dem GG unvereinbar, soweit danach der Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung auch im Fall außergewöhnlicher Härten zwingend zu mindern ist, oder das Arbeitslosengeld II auch dann vollständig entfallen muss.

5)  § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II ist verfassungswidrig und mit dem GG unvereinbar, soweit er für alle hier überprüften Leistungsminderungen eine starre Dauer von drei Monaten vorgibt.

6)  Entscheidet sich der Gesetzgeber für das Durchsetzungsinstrument der Leistungsminderung, setzt er im Bereich der Gewährleistung der menschenwürdigen Existenz selbst an, dann sind die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit dieses Mittels besonders streng. Bei der Ausgestaltung der Sanktionen sind weitere Grundrechte zu beachten, wenn ihr Schutzbereich berührt ist. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 GG) tatsächlich zu sichern. Sowohl die physische als auch die soziokulturelle Existenz eines Menschen werden durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einheitlich geschützt.

7)  Die in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II normierten Mitwirkungspflichten konkretisieren den gesetzlich festgeschriebenen Grundsatz des Forderns aus § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach erwerbsfähige Leistungsberechtigte (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) sämtliche Möglichkeiten auszuschöpfen haben, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern. Dies dient gerade dem legitimen Ziel einer Schonung der Mittel der Allgemeinheit. Hiergegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

8)  Die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II normierte Höhe einer Leistungsminderung von 30 v. H. des Regelbedarfs ist aktuell auf der Grundlage plausibler Annahmen hinreichend tragfähig begründbar, sofern auch in einem Fall außergewöhnlicher Härte von dieser Sanktion abgesehen werden kann, und die Minderung nicht unabhängig von der Mitwirkung der betroffenen Leistungsbezieher starr andauert.

9)  Ob und in welchem Maße die in § 31a SGB II aufgelisteten Leistungsminderungen überhaupt bewirken, dass die betroffenen Leistungsbezieher ihren Pflichten aus § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II nachkommen, ist auch nicht durch differenzierte Daten belegt. Dargelegt sind hingegen negative Effekte von Leistungsminderungen. Insbesondere bei Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen und erheblichen psychischen Problemen, die zwar zu einer Mitwirkung grundsätzlich in der Lage sind, aber gemäß § 31a Abs. 1 SGB II mit Leistungsminderungen belastet werden müssen, kann im Einzelfall erkennbar sein, dass die verfügten Minderungen die gewünschten Durchsetzungs- und Integrationseffekte nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt oder nicht mehr erreichen. Die bewusst starre Regelung zum Minderungszeitraum in § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II verhindert, dass nur konkret geeignete Sanktionen verhängt werden. Diese Norm zwingt die SGB II-Träger dazu, Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz stets für den Zeitraum von drei Monaten zu entziehen. Dies gilt völlig unabhängig davon, ob die Betroffenen ihre Pflicht nachträglich doch noch erfüllen oder sich dazu ernsthaft und nachhaltig bereit erklären, so dass davon auszugehen ist, dass die Erklärung, künftig ordnungsgemäß mitwirken zu wollen, als tatsächlich glaubhaft aufgefasst werden kann. Die starre Fortdauer der Sanktion kann den Anreiz nehmen, eine Mitwirkung nachzuholen, weil die Sanktion weiterläuft.

10) Die Vorgabe in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, den Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung ohne weitere Prüfung zwingend zu mindern, ist unzumutbar. Diese Regelung stellt derzeit nicht sicher, dass Minderungen ausnahmsweise unterbleiben können, wenn sie außergewöhnliche Härten bewirken, insbesondere weil sie in der Gesamtbetrachtung untragbar erscheinen. Der Gesetzgeber hat hier erkennbaren Ausnahmekonstellationen umfassend Rechnung zu tragen. Die Legislative kann die Zumutbarkeit der Sanktion im Einzelfall, aber auch durch eine Härtefallregelung sicherstellen, die es der Sozialbehörde ermöglicht, von einer im Einzelfall unzumutbaren Sanktion abzusehen.

11) Es ist unzumutbar, dass die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II vorgegebene Sanktion in Verbindung mit § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II unabhängig von der Mitwirkung, auf die sie zielt, immer erst starr nach drei Monaten endet. Dieser Minderungszeitraum ist nur dann nicht zu beanstanden, wenn die Mitwirkungspflicht anhaltend verletzt wird. Diese Leistungsminderung ist nur dann zumutbar, wenn sie grundsätzlich endet, sobald die geforderte Mitwirkung erfolgt.

12) Ist die Mitwirkung objektiv nicht mehr möglich, wird aber die Bereitschaft zur Mitwirkung antragstellerseitig ernsthaft und nachhaltig erklärt, muss die Leistung in zumutbarer Zeit wieder gewährt werden. Die starre Frist von drei Monaten ist dafür deutlich zu lang.

13) Es ist nicht erkennbar, dass gerade die nach § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II starr mit drei Monaten vorgegebene Sanktionsdauer dazu beitragen könnte, die betroffenen Leistungsbezieher zur Erbringung ihrer Eingliederungsbemühungen anzuhalten. Die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II vorgegebene Sanktion ist verfassungsrechtlich nur zumutbar, wenn ihre Dauer auf die Mitwirkung der Betroffenen und damit auf deren eigenverantwortliches Handeln bezogen ist. Es bedarf die gesetzliche Möglichkeit, Sanktionen zumindest abzumildern, wenn deren Ziel erreicht ist.

14) Die in § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II im Fall der ersten wiederholten Verletzung einer Mitwirkungspflicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II vorgegebene Minderung der Leistungen des maßgebenden Regelbedarfs in einer Höhe von 60 v. H. dieses Richtsatzes ist mit dem GG vor allem mangels tragfähiger Erkenntnisse zur Eignung und Erforderlichkeit einer Sanktion in dieser gravierenden Höhe nicht vereinbar. Die Regelung des § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II wird den angesichts der außerordentlichen Härte dieser Belastung strengen Maßstäben der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht, weil sie unzumutbar ist. Die hier entstehende Belastung der Klientel reicht weit in das grundrechtlich gewährleistete Existenzminimum hinein. Die Entscheidung des Gesetzgebers in § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II für eine Sanktion der Minderung um 60 v. H. des Regelbedarfs kann sich hinsichtlich ihrer Höhe nicht auf tragfähige Erkenntnisse dazu stützen, dass die erwünschten Wirkungen tatsächlich erzielt und negative Effekte verhindert werden.

15) Mit der Sanktion nach § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II sind in viele Fällen auch negative Wirkungen verbunden wie Wohnungslosigkeit, die Gefahr der Dequalifizierung, eine verstärkte Verschuldung, eingeschränkte Ernährung, unzureichende Gesundheitsversorgung, sozialer Rückzug und seelische Probleme.

16) Die Regelung zu möglichen ergänzenden Leistungen in § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II beseitigt die Zweifel an der Eignung einer Leistungsminderung in Höhe von 60 v. H. des maßgebenden Regelbedarfs nicht. Diese Ergänzungsleistungen stehen grundsätzlich (Ausnahme: § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II) im Ermessen des Jobcenters und sind der Höhe nach nicht quantifiziert.

17) Auch hier fehlt eine Regelung, die es ermöglicht, in außergewöhnlichen Härtefällen von einer weiteren Sanktion abzusehen.

18) Der vollständige Wegfall des Arbeitslosengeldes II nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II ist auf der Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht vereinbar, die den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Durchsetzungsmittel von Mitwirkungspflichten zur Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit begrenzen.

19) Nur begrenzten Schutz vor einem Wohnungsverlust schafft hier § 22 Abs. 8 SGB II, denn ein Darlehen gleicht die Härte nur akut aus und verschiebt die Belastung auf einen späteren Zeitpunkt. In dieser Situation entstehen zudem beim Krankenversicherungsträger Beitragsrückstände, die zu hohen Schulden führen, gerade weil § 26 SGB II („Zuschüsse zu Beiträgen zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung“) hier keine Anwendung findet. Durchgreifende Bedenken gegen die Eignung einer Sanktion in entsprechender Höhe ergeben sich somit insbesondere daraus, dass der Verlust der Wohnung droht und die Gefahr besteht, langfristig in eine Schuldenfalle zu geraten. Dies entzieht die Grundlage dafür, wieder in Erwerbsarbeit zurückzukehren und die Existenz selbst zu sichern. In dieser Situation brechen hilfebedürftige Personen häufig den Kontakt zum Jobcenter ganz ab und decken ihre Bedarfe durch illegale Erwerbsarbeit und Kriminalität, so dass sich diese Totalsanktion oft als kontraproduktiv erweist.

20) Der grundrechtlich geschützte Bereich der menschenwürdigen Existenz (Art. 1 Abs. 1 GG) ist hier berührt, weil in keiner Weise belegt ist, dass ein Wegfall existenzsichernder Leistungen notwendig wäre, um das hiermit angestrebte Ziel der beruflichen Eingliederung zu erreichen, und dass eine Minderung der Regelbedarfsleistungen in geringerer Höhe, eine Verlängerung des Minderungszeitraums oder auch eine teilweise Umstellung von Geld- auf Sachleistungen nicht genauso wirksam oder sogar wirksamer wäre, weil die negativen Wirkungen der Totalsanktion unterblieben.

21) Dies gilt gerade für die derzeitige Maßgabe in § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II, wonach sogar der völlig Wegfall von Leistungen nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II starr drei Monate andauern soll, auch wenn die behördlicherseits geforderte Mitwirkung schließlich erfolgt. Der Gesetzgeber hat auch hier dafür Sorge zu tragen, dass trotz verfügtem Wegfall des Arbeitslosengeldes II die Chance realisierbar bleibt, existenzsichernde Leistungen zu erhalten, wenn zumutbare Mitwirkungspflichten erfüllt werden, oder die ernsthafte und nachhaltige Bereitschaft zur Mitwirkung tatsächlich besteht.

22) Grundlegend anders gelagert ist es aber, wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen, zumutbaren Arbeit ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung eines Arbeitseinkommens selbst zu sichern. Bei einer unbegründeten Ablehnung kann ein vollständiger Leistungsentzug gerechtfertigt sein.



2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2. 1 Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.09.2019 - L 19 AS 1034/18

Orientierungssatz ( Redakteur )

1. Ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter kANN nicht auf die Inanspruchnahme eines Dispositionskredits aufgrund einer weiterbestehenden Kontokorrentabrede zur Bestreitung seines Lebensunterhalts als "bereites Mittel" verwiesen werden, wenn er zuvor zugeflossenes Einkommen zur Rückführung des Solls auf diesem Konto verwandt hat (offengelassen in BSG Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 10/14 R).

2. Denn die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Dispositionskredits zur Bestreitung des Lebensunterhalts verbunden mit einer erhöhten Zinsbelastung stellt keine uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit über eine einmalige Einnahme und damit kein "bereites" Mittel dar, auch wenn der Betroffene nach dem Zufluss einer einmaligen Einnahme und der damit verbundenen Schuldentilgung aufgrund einer Kontokorrentabrede den eingeräumten Dispositionskreditrahmen nicht reduziert und damit die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Dispositionskredits aufrechterhalten hat.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=209013&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





2. 2 Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 23.10.2017 - L 12 AS 1849/17 B ER - rechtskräftig

Orientierungssatz ( Redakteur )

1. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge - auch ohne Existenzsicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG - eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG findet aufgrund des in Art. 18 AEUV statuierten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung (Senatsbeschluss vom 17.08.2017, L 12 AS 584/17 B ER; LSG NRW Beschluss vom 30.11.2015, L 19 AS 1491/15 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.06.2016, L 25 AS 1331/17 B ER; Dienelt in Bergmann / Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 11 FreizügG/EU Rn. 38f; a. A. LSG NRW Beschluss vom 27.07.2017, L 21 AS 782/17 B ER; LSG Berlin- Brandenburg Beschluss vom 22.05.2017, L 31 AS 1000/17 B). Aus dieser Rechtsstellung können sie unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i. V. m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten, wenn ihre Kinder ein materielles Aufenthaltsrecht haben.

2. Dies ist vorliegend der Fall.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=209011&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=







3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

379 € vom Jobcenter für die Anschaffung eines Notebooks, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

Erneut hat das SG Kiel einem Schüler Leistungen für die Anschaffung eines Computers nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II zugesprochen, diesmal in Höhe der geltend gemachten 379 €. In seinem Urteil setzt sich die 38. Kammer insbesondere mit der Frage auseinander, ob es es sich um einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf handeln muss und kommt zu dem Schluss, dass dies nach der Rechtsprechung des BSG zur Kostenübernahme von Schulbüchern (BSG, Urteil vom 08.05.2019, B 14 AS 13/18 R) offenbar nicht der Fall ist, sondern der im Regelsatz unberücksichtigte Bedarf genügt.

3. 1 SG Kiel, Urteil vom 25.10.2019, S 38 AS 348/18

Quellen: https://sozialberatung-kiel.de/2019/11/04/379-e-vom-jobcenter-fuer-die-anschaffung-eines-notebooks/  und https://sozialberatungkiel.files.wordpress.com/2019/11/sg-kiel-urteil-vom-25.10.2019-s-38-as-348-18.pdf



Hinweis: Sozialgericht Kiel, Urteil vom 25. Oktober 2019 (S 38 AS 348/18):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

1. Die Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 SGB II lässt sich auf die Anschaffung technischer Geräte, die im Unterricht bzw. für die Teilnahme am Unterricht und die Sicherung der pädagogischen Zwecke unabdingbar benötigt werden, wie z. B. ein Notebook übertragen.

2. Ein regelmäßiger Benutzungsbedarf ist hier nicht zu verneinen.

3. Die Tatsache, dass ein derartiges Gerät während der Schulzeit nur ein oder zweimal angeschafft zu werden hat, führt hier zu keiner anderen Beurteilung, da ein Bedarf und ein Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht zwingend in jedem Bewilligungsabschnitt bestehen muss.



3. 2 SG Mainz, Beschluss v. 07.10.2019 - S 14 AS 582/19 ER

Mehrbedarf "PC mit Software" für Schüler im SGB II-Bezug bei Besuch der Berufsfachschule I für Informationsverarbeitung und Mediengestaltung

Leitsatz ( Juris )

1. Schüler im SGB II-Bezug haben bei Besuch der Berufsfachschule I für Informationsverarbeitung und Mediengestaltung aufgrund der starken PC-bezogenen Unterrichtsinhalte und der damit verbundenen Hausaufgaben einen Mehrbedarf für die Ausstattung mit einem PC und der notwendigen Software, sofern die Familie nicht hierüber verfügt. Das Jobcenter hat einen Zuschuss und kein Darlehen zu leisten. Es darf nicht auf die Ausleihe eines PCs von Verwandten verweisen.

2. Der Anspruch ist auf einen gebrauchten und nicht auf einen neuen PC gerichtet.

Quelle: http://www.landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/8e2/page/bsrlpprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE190014235&documentnumber=3&numberofresults=2395&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K&paramfromHL=true#focuspoint





3. 3 SG Dresden, Beschluss v. 28.10.2019 - S 29 AS 3154/19 ER

Krebskranke Irakerin erhält Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes


Das SG Dresden hat das Jobcenter Dresden vorläufig verpflichtet, einer krebskranken Irakerin bis zum Ablauf ihrer aktuellen Aufenthaltserlaubnis im Januar 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu zahlen.

Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche ergibt, haben Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Sie sind erwerbsfähig im Sinne des SGB II, solange ihre Aufenthaltserlaubnis die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt. Soweit zwischen Jobcenter und Sozialamt Streit darüber besteht, ob ein Antragsteller erwerbsfähig ist, wird die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers bis zu einer Entscheidung der hierfür zuständigen Agentur für Arbeit fingiert.

Jetzt Volltext vorhanden: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=208991&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





3. 4 SG Hannover, Urteil vom 30.09.2019 - S 43 AS 3574/17

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Bestehens einer Belastung einer Einnahme mit einem wirksamen Rückzahlungsanspruchs ist der letzte Tag des Zuflussmonats


Abweichend von BSG, Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 165/10 R ist maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen einer Rückzahlungsverpflichtung einer Einnahme (hier: Gehaltsüberzahlungen) nicht der Zeitpunkt des Zuflusses, sondern der letzte Tag des Monats des Zuflusses, u.a. da ein sachlicher Grund, von dem ausnahmslos bei der Beurteilung von Einnahmen geltenden Monatsprinzip abzuweichen, nicht ersichtlich ist und die Beurteilung, ob eine Einnahme vorliegt, andernfalls vom Zufall abhängen würde.

Quelle: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE190014138&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint



3. 5 SG Leipzig, Gerichtsbescheid vom 01.11.2019, S 17 AS 2828/18

Orientierungshilfe ( Kanzlei RA Heemann )

Die Absendung eines Schreibens per Telefax ist durch Vorlage eines Faxprotokolls glaubhaft gemacht. Verweigert die Behörde Auskunft darüber, ob die Verbindung laut Faxprotokoll im Speicher des Empfangsgeräts enthalten ist, ob und in welcher Weise ein Empfangsjournal geführt wurde, welches sie vorlegen möge, dann geht dies nach Beweislastgrundsätzen zu ihren Lasten, indem davon auszugehen ist, daß die Zugangsbehauptung zutrifft (vgl. BGH, Urteil vom 19.02.2014, IV ZR 163/13, Rn. 30).



4. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Sozialrecht ( SGB XII )

4. 1 SG Lüneburg, Beschluss vom 16.10.2019 - S 22 SO 112/18

Orientierungssatz ( Redakteur )

1. Keine Berücksichtigung des Freibetrages für die Betriebsrente gem. § 82 Abs. 4 SGB XII im Rahmen der Hilfe zur Pflege.

2. Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der Regelung § 82 Abs. 4 SGB XII in Hinblick auf eine unzulässige Ungleichbehandlung bestehen nicht.

Quelle: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=DD0EDB7CEA30A9ACBD477A52738D31D3.jp16?doc.id=JURE190014134&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint



4. 2 Sozialgericht Freiburg, Urt. v. 08.10.2018 - S 7 SO 552/18 - rechtskräftig

Personen im Eingangs- bzw. Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen


Orientierungssatz ( Redakteur )

Auch bei Personen im Eingangs- bzw. Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen kann eine volle Erwerbsminderung auf Dauer unterstellt werden ( SG Augsburg, Urteil v. 16.02.2018 – S 8 SO 143/17 ).

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=209030&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



5. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

5. 1 Sozialgericht Landshut, Beschluss vom 24. Oktober 2019 (S 11 AS 64/19 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Zur Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG 2019.

1. Die Absenkung der Regelbedarfe auf 90 v. H. im Vergleich zu alleinstehenden Personen setzt das Zusammenleben, Partnerschaft und ein Wirtschaften aus einem Topf voraus.

2. Es erscheint ausgeschlossen, dass nicht miteinander verwandte Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 53 Abs. 1 AsylG regelmäßig und ohne Berücksichtigung des Einzelfalls diese drei Kriterien erfüllen.

3. Hier muss berücksichtigt werden, dass Bewohner einer solchen Unterkunft individuelle Bedarfe haben können, die diese eigenverantwortlich mit den erhaltenen Geldmitteln decken wollen und dürfen. Dies kann für Bedarfe für Nahrungsmittel und auch für Kommunikation gelten.

4. Unklar ist im Einzelfall auch, welche Leistungen die anderen Mitbewohner der Gemeinschaftsunterkunft tatsächlich beziehen, z. B. abgesenkte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, oder Anspruchseinschränkungen gemäß § 1a AsylbLG hinzunehmen haben.



Hinweis: SG Landshut: Kürzungen der AsylbLG-Leistungen für Alleinstehende verfassungswidrig

Das Sozialgericht Landshut hat in einem Eilbeschluss vom 24.10.2019 festgestellt, dass die Einstufung von erwachsenen alleinstehenden Empfänger_innen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in die Regelbedarfsstufe 2, wie dies für Ehepartner_innen/Lebenspartner_innen ohnehin geschieht und die damit einheergehende faktische Kürzung von Leistungen verfassungswidrig ist.

Weiter: https://www.fluechtlingsrat-lsa.de/2019/11/sg-landshut-kuerzungen-der-asylblg-leistungen-fuer-alleinstehende-verfassungswidrig/

Anmerkung: der Beschluss vom SG Landshut v. 24.10.2019 - S 11 AY 64/19 ER wurde veröffentlicht im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 45/2019



6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher



6. 1 Ermittlung des Durchschnittseinkommens bei endgültiger Festsetzung vorläufiger Bescheide im SGB II, ein Beitrag von Herbert Masslau

weiter: http://www.herbertmasslau.de/ss-41a-abs-4-sgb-ii.html



Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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