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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 49/2022

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem (SGB II ) und zum Arbeitsförderungsrecht nach dem ( SGB III )

1.1 BSG, Urt. v. 29.11.2022 - B 4 AS 64/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - vorläufige Bewilligung - abschließende Entscheidung - Nullfeststellung - Nachreichen von Unterlagen im Klageverfahren - Präklusion

BSG: Anspruch für Selbstständige auf Hartz IV Leistungen nach verpasster Frist

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.


Haben Selbstständige die vom Jobcenter festgesetzte Frist zur Abgabe der Unterlagen verpasst und diese erst im Klageverfahren nachgereicht, ist dies kein Grund, die Hartz IV Leistung ganz zu versagen und das gezahlte Arbeitslosengeld II zurückzufordern.

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.

§ 41a Abs. 3 S. 4 SGB 2 hat keine materielle Präklusionswirkung.

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2022/2022_11_29_B_04_AS_64_21_R.html

 

 

1.2 BSG, Urt. v. 29.11.2022 - B 11 AL 33/21 R

Arbeitslosenversicherung - Arbeitslosengeld - Integrationsmaßnahme - Teilnehmervereinbarung - Rechtsfolgenbelehrung - Sperrzeit - Ruhenszeitraum

Zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung im Hinblick auf den Beginn einer Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme.

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.


Rechtsfolgenbelehrung muss Hinweis auf den Beginn der Sperrzeit enthalten, ansonsten ist die Sperrzeit rechtswidrig.

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2022/2022_11_29_B_11_AL_33_21_R.html

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

2.1 LSG NRW, Beschluss v. 06.09.2022 - L 2 AS 795/22 B

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Ablehnung eines Darlehens für Kraftfahrzeugkosten gem § 24 Abs 1 SGB 2 - Kostenübernahme nach § 21 Abs. 6 SGB II ablehnend

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

Kosten für eine Autoreparatur sind nicht vom Regelbedarf nach § 20 Abs. 1 SGB II umfasst ( LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.01.2018 – L 4 AS 664/17 B ER )

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.

Keine zuschussweise und auch keine darlehensweise Übernahme von Reparaturkosten des Kraftfahrzeuges durch das JobCenter.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172470

 

 

Hinweis Redakteur von Tacheles e. V. :

1. SG Mainz, 26.11.2020 - S 10 AS 654/18 - Wer zahlt die Reparatur des Autos?

Selbst wer arbeitet, kann auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sein. Ein neues Auto kann man sich damit nicht leisten. Aber für ein altes Auto fallen häufig Reparaturkosten an. Wer die bezahlen muss, hat das Sozialgericht Mainz nun im Fall einer Reinigungskraft entschieden.

Quelle: https://www.dgbrechtsschutz.de/recht/sozialrecht/arbeitslosigkeit/themen/beitrag/ansicht/arbeitslosigkeit/wer-zahlt-die-reparatur-des-autos/details/anzeige/

 

2. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen: Beschluss vom 13. Mai 2015 - L 11 AS 676/15 B ER - Jobcenter muss im Einzelfall Darlehen für Pkw geben

Quelle: https://anwaltauskunft.de/magazin/leben/soziales/jobcenter-muss-im-einzelfall-darlehen-fuer-pkw-geben

 

2.2 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 14.11.2022 - L 31 AS 690/22 B ER

Leitsätze


Auch im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG sind im Rahmen einer Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches im Sinne von § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO gemäß § 118 Abs. 1 SGG die Beweisregeln aus §§ 358 ff. ZPO zu beachten.

Ergibt sich aus den so zu beachtenden vorliegenden Beweismitteln (insbesondere aus vorliegenden Urkunden und Zeugenaussagen) eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen oder das Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruches, so ist für eine Folgenabwägung kein Raum.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172476

 

 

2.3 Sächsisches LSG, Beschluss v. 20.10.2022 - L 4 AS 396/22 B ER

Leitsätze


1. Nutzt ein Beteiligter den sicheren Übermittlungsweg eines De-Mail-Kontos (§ 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGG) und beim Versand des elektronischen Dokumentes eine einfache Signatur, ist Voraussetzung für die Wahrung der Schriftform, dass die als Nutzer des sicheren Übermittlungsweges ausgewiesene Person mit der Person identisch ist, die die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernimmt, sie also einfach signiert hat. Da dem Nutzer eines De-Mail-Kontos gemäß § 5 Abs. 1 De-Mail-Gesetz eine De-Mail-Adresse für elektronische Post zugewiesen ist, welche bei natürlichen Personen im lokalen Teil deren Nachnamen und einen oder mehrere Vornamen oder einen Teil des oder der Vornamen ausweist, muss sich der Name der natürlichen Person, die die inhaltliche Verantwortung für das elektronisch übermittelte Dokument übernimmt, regelmäßig in der De-Mail-Adresse widerspiegeln.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172493

 

2.4 Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. September 2022 – L 3 AS 208/21

Was heißt hier „verschleudert“?


Ein vorgezogenes Erbe im Arbeitslosengeld-II-Bezug kann man gut gebrauchen. Da fällt es leicht, sich den dringend benötigten, behindertengerechten PKW anzuschaffen, die Kinder zu unterstützen und einen Kredit zurückzuzahlen. Die Rechnung machte ein arbeitsloser Mann jedoch ohne sein Jobcenter. Er habe das Geld verschleudert und solle nun 11.000 € erstatten. So geht das nicht, meinte das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz und stellte auf die Motivation des Mannes ab.

 

Nicht jeder Verbrauch von Vermögen im SGB-II-Bezug ist sozialwidrig oder verschwenderisch.

weiter: https://www.dgbrechtsschutz.de//recht/sozialrecht/arbeitslosigkeit/themen/beitrag/ansicht/arbeitslosigkeit/was-heisst-hier-verschleudert/details/anzeige/

 

Volltext: https://www.dgbrechtsschutz.de/fileadmin/media/0_2015_Media_Neu/PDF/2022/November/LSG_Rheinland_Pfalz__20.09.2022__bearbeitet_L_3_AS_208-21_Vermoegensverschleuderung_GR__1_.pdf

 

Hinweis Redakteur v. Tacheles e. V. :

LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 07.05.2019 - L 10 AS 632/16 - Ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II wegen Vermögensverschwendung kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht.

Sozialwidriges Verhalten liegt nur dann vor, wenn das Vermögen zielgerichtet zum möglichst baldigen Wiedereintritt in den Leistungsbezug verschleudert wird.

 

 

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

3.1 LSG NRW, Beschluss v. 01.09.2022 - L 9 AL 106/22 B ER

Selbstständigkeit - Pandemie - Feststellung einer Sperrzeit 12 Wochen - besondere Härte iSd § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 b) SGB III mit der Folge einer Verkürzung der Sperrzeit auf sechs Wochen

Zur Frage, ob eine 12 wöchige Sperrzeit rechtswidrig ist, wenn eine erfolgreiche und bedarfsdeckende Selbständigkeit wegen der Corona-Pandemie und den mit dieser zusammenhängenden Kontaktbeschränkungen vorübergehend aufgegeben werden musste, der Betroffene eine Zwischenbeschäftigung gesucht hat, und nunmehr – nach weitgehendem Wegfall der Beschränkungen – die zuvor ausgeübte selbständige Tätigkeit wieder aufnehmen will, hier bejahend

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.


1. Der Senat hält es für mindestens unverhältnismäßig hart, den Versuch eines vor der coronabedingten Schließung seines Geschäfts erfolgreich selbständig Tätigen, diese Tätigkeit wieder aufzunehmen, mit der Regelsperrzeit von zwölf Wochen zu sanktionieren, wenn – wie hier – ein berechtigter Grund zu der Annahme vorlag, dass die selbständige Tätigkeit wieder aufgenommen werden kann. Eine Reduzierung der Sperrzeit auf sechs Wochen führt zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld.

2. Auch der Wechsel in ein zeitlich weniger beanspruchendes Arbeitsverhältnis oder eine Rücksprache beim Arbeitgeber zur beabsichtigten weiteren beruflichen Entwicklung kann der Arbeitsaufgabe gegenüber vorrangig sein (Sächsisches LSG Urteil vom 08.02.2018 – L 3 AL 204/16).

3. Fraglich ist jedoch, ob diese allgemeinen Grundsätze auch gelten, wenn eine erfolgreiche und bedarfsdeckende Selbständigkeit wegen der Corona-Pandemie und den mit dieser zusammenhängenden Kontaktbeschränkungen vorübergehend aufgegeben werden musste, der Betroffene eine Zwischenbeschäftigung gesucht hat, und nunmehr – nach weitgehendem Wegfall der Beschränkungen – die zuvor ausgeübte selbständige Tätigkeit wieder aufnehmen will. Der Gesetzgeber hat in vielfacher Hinsicht Maßnahmen ergriffen, um die sozialen Härten, die gerade für Selbständige mit Ausbruch der Corona-Pandemie einhergegangen sind, abzumildern. Diese gesetzgeberische Wertung darf bei der Abwägung zum wichtigen Grund iSd Sperrzeitrechts nicht außer Acht gelassen werden.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172467

 

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

4.1 LSG NRW, Urt. v. 08.09.2022 - L 9 SO 403/20 - anhängig BSG - B 8 SO 18/22 R

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Abweichung vom Kopfteilprinzip bei Behinderung oder Pflegebedürftigkeit

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.

1. Eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip ist anerkannt bei einem über das normale Maß hinausgehenden Bedarf einer der in der Wohnung lebenden Person wegen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit (BSG Urteil vom 22.08.2013 – B 14 AS 85/12 R). Dies setzt voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalls tatsächliche Aufwendungen dem zB wegen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit spezifischen Unterkunftsbedarf eines bestimmten Bewohners zugeordnet werden können, hier bejahend.

2. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich die zusätzlichen Kosten aus dem Mietvertrag ergeben oder auf andere Weise konkret beziffern lassen (so aber LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 23.05.2018 – L 13 AS 59/16).

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172469

 

4.2 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 30.11.2022 - L 7 SO 1522/22

Sozialhilfeträger zahlt Reparatur für gelöcherte Zimmerdecke nicht


Kostenersatz für eine Renovierung gibt es für Bezieher von Grundsicherung laut einem Urteil des baden-württembergischen Landessozialgerichts nur bei "ordnungsgemäßer Wohnnutzung". Dagegen müsse der Sozialhilfeträger nicht die Reparaturkosten übernehmen für Schäden, "die durch unsachgemäßen Umgang mit der Mietsache entstanden sind", entschied das Gericht in einem am Mittwoch in Stuttgart veröffentlichten Urteil. Damit wies es die Klage eines Mannes ab, der seine Zimmerdecke gelöchert hatte, um von über ihm wohnenden Mietern Ruhe einzufordern. (AZ: L 7 SO 1522/22)

Quelle: https://www.evangelisch.de/inhalte/208943/30-11-2022/sozialhilfetraeger-zahlt-reparatur-fuer-geloecherte-zimmerdecke-nicht

 

 

5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

5.1 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 03.11.2022 - L 8 AY 55/21 - Revision zugelassen

Keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer durch passiven Widerstand gegen eine Abschiebungsmaßnahme


1. Durch einen allein passiven Widerstand gegen eine Abschiebungsmaßnahme (hier die Erklärung am Flughafen, nicht zur Ausreise bereit zu sein) wird die Aufenthaltsdauer in Deutschland nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst iSd § 2 Abs. 1 AsylbLG.

2. Der Aufenthalt im sog. offenen Kirchenasyl, um eine Überstellung nach der Dublin-III-VO abzuwenden, stellt keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer in Deutschland nach § 2 Abs 1 AsylbLG dar (Anschluss an BSG, Urteil vom 24.6.2021 - B 7 AY 4/20 R – juris).

Quelle:https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=E9086B68C29BF8095B5D3BFD1885B8E4.jp14?doc.id=JURE220037435&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

 

6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

6.1 Von hinten durch die Brust ins Auge….(II) Ein Beitrag von RA Kay Füßlein

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die niedrigere „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt (Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 ).

Dies führt demnach zu höheren Leistungen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Aber nur, wenn die jeweiligen Bescheide nicht bestandskräftig sind. Dies ist dann der Fall, wenn kein Widerspruch eingelegt worden ist.

Die Frist für einen Widerspruch beträgt einen Monat nach Zustellung. Diese Frist setzt aber eine ordnungsgemäße Belehrung und einen Bescheid voraus.

Dies ist häufig nicht der Fall (so gibt es keinen Bescheid oder die Belehrung ist falsch erteilt- das erkennt aber häufig nur ein Profi).

Wenn die Belehrung falsch ist, verlängert sich die Frist für einen Widerspruch auf ein Jahr.

Wem das bekannt vorkommt: bei der Entscheidung über Sanktionen gab es eine ganz ähnliche zeitliche Begrenzung, die durch falsche Belehrungen auf ein Jahr verlängert worden ist: Von hinten durch die Brust ins Auge http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=1172

Rechtliche Beratung hierzu gibt es u.a. über diese Initiative:

Mit Recht zum Recht https://zusammenland.de/case-study/mit-recht-zum-recht/

weiter bei RA Kay Füßlein: http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=1198

 

6.2 SGB II – Gesetzestext Lesefassung zu den Änderungen im sog. "Bürgergeldgesetz"

Auf Nachfrage beim Bundesministerium für Arbeit (BMAS) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) seien dort keine Lesefassungen der SGB II – Änderungen vorhanden. Was wir ehrlich gesagt für entweder unrichtig oder ungeheuerlich halten.

Warum machen wir das, was eigentlich die Verwaltung machen müsste: die Änderungen müssen bekannt werden, alle müssen die Möglichkeit haben sich im Detail und nachvollziehbar mit den Änderungen auseinandersetzen zu können und ganz grundsätzlich: nur wer seine Rechte kennt, kann dafür kämpfen!

Tacheles möchte den konsolidierten SGB II – Gesetzestext nicht hinter Paywall verbergen, wir fänden es aber schon cool, wenn sich mal mit ner Spende zu bedankt werden würde.

Hier kann gespendet werden. https://tacheles-sozialhilfe.de/verein/spenden.html

 

Quelle: Tacheles e.V.: https://tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/archiv/sgb-ii-gesetzestext-lesefassung-zu-den-sgb-ii-aenderungen.html

 

Wir wünschen allen Lesern eine schöne, besinnliche und friedliche Weihnachtszeit!

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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