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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 50/2022

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem (SGB II ) und zur Sozialhilfe ( SGB XII )

1.1 BSG, Urteil v. 13.07.2022 - B 7/14 AS 75/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Trinkgelder

Trinkgelder mindern den Arbeitslosengeld-II-Anspruch grundsätzlich nur, wenn sie 10% des maßgebenden Regelbedarfs übersteigen

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.

Manchmal dürfen Hartz-IV-Aufstocker ihr Trinkgeld aus ihrer Beschäftigung behalten. Dies gilt für monatliche Trinkgelder, die nicht höher als zehn Prozent des Regelbedarfs betragen.

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.

Beim Trinkgeld ( hier 25 Euro ) handelt es sich um eine nicht zu berücksichtigende Zuwendung iS des § 11a Abs 5 SGB II. Es ist kein Erwerbseinkommen.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172581

 

 

1.2 BSG, Urt. v. 08.12.2022 - B 7/14 AS 63/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - stationäre Suchtentwöhnung - Strafhaft – Leistungsausschluss

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

Auf Hinweis des Senats, dass er beabsichtige, sich der Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 5. August 2021 (Aktenzeichen B 4 AS 58/20 R) anzuschließen, hat der Kläger die Revision zurückgenommen.

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2022/2022_12_08_B_07_14_AS_63_21_R.html;jsessionid=557838769B6E2E562007D0F949364B63.1_cid368

Anmerkung Redakteur: Damit dürfte das gelten, was das LSG Sagte:

Kein Arbeitslosengeld II für eine hilfebedürftige Person während einer stationären Drogentherapie nach Strafhaft.

 

 

1.3 BSG, Urt. v. 08.12.2022 - B 8 SO 11/20 R

Sozialhilfe - Ausländer – Passbeschaffungskosten

SGB XII Zuschuss für neuen türkischen Pass

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

Lebt ein ausländischer Sozialhilfeempfänger in einer stationären Einrichtung, hat er einen Anspruch auf einen Zuschuss für seinen neuen Pass seines Herkunftsstaates.

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

  1. Die vom Heimatland erhobenen Gebühren für die Ausstellung eines neuen Passes sind dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt iS von § 27b Abs 1, Abs 2 Satz 1 SGB XII zuzuordnen.
  2. Die Deckung von Bedarfen durch ergänzende Darlehen scheidet für Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen aus, weil der Barbetrag, anders als der Regelsatz, keine Ansparbeträge beinhaltet. Deshalb liegt auch keine gleichheitswidrige Besserstellung gegenüber Leistungsberechtigten vor, die außerhalb einer stationären Einrichtung leben und den vollen Regelsatz erhalten.
  3. Für Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen scheidet die Ausstellung eines Ausweisersatzes schließlich typischerweise aus, weil sie die Passbeschaffungskosten als Zuschuss verlangen und sich damit einen Pass zumutbar beschaffen können.

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2022/2022_12_08_B_08_SO_11_20_R.html

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

2.1 LSG NRW, Urt. v. 23.06.2022 - L 6 AS 120/17

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

Unterkunftskosten im Märkischen Kreis für Empfänger nach Leistungen des SGB II/ SGB XII zu niedrig, denn die Grundsicherungsträger verfügen über kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG.

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

  1. Der Umstand, dass die Betriebskostenvorauszahlung im Hinblick auf die personenabhängigen Nebenkosten auf Grundlage eines Zwei-Personen-Haushalts festgesetzt wurde, obwohl die Klägerin im streitigen Zeitraum die Wohnung allein bewohnte, steht der Berücksichtigung als Bedarf nicht entgegen.
  2. Selbst wenn die Festsetzung der Vorauszahlung insoweit fehlerhaft gewesen sein sollte, ist sie als Teil der tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigungsfähig, weil sie auf einer mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung beruhte und von der Klägerin tatsächlich gezahlt wurde (vgl. zu dieser Voraussetzung BSG, Urteil vom 24.11.2011, B 14 AS 15/11 R; Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 8/09 R ).

 

2.2 Bay LSG, Urt. v. 21.11.2022 - L 7 AS 128/22

Leitsätze


Das Angebot einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 16 SGB II iVm § 45 SGB III stellt sich prozessual als ein auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt iSd § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG dar.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172511

 

2.3 LSG NRW, Beschluss v. 22.09.2022 - L 2 AS 1918/21 B

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Versagungsbescheid - Leistungsentziehung wegen fehlender Mitwirkung - Ermessensnichtgebrauch zum Umfang der Versagung

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.

Bewilligung von PKH, denn ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauch liegt hier zum Umfang der Versagung vor (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2021 – L 25 AS 1035/19 ).

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.

Darüber hinaus besteht ein Ermessensfehlgebrauch im Sinne eines Abwägungsdefizits, weil nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach Lage des Falles zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung eingeflossen sind (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.01.2020 – L 4 AS 269/18 ).

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172534

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

3.1 SG Freiburg, Gerichtsbescheid v. 06.04.2022 - S 13 AS 2141/21

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

Zur Frage, ob die Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten (hier § 40 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III, § 48 SGB X) im Rahmen des Anwendungsbereichs des § 67 Abs. 4 SGB II anwendbar sind, hier bejahend.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172556

 

3.2 SG München, Urt. v. 30.06.2022 - S 8 AS 227/20

Leitsätze

Bei der Frage, welche Kosten der Unterkunft als angemessen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen sind, ist unter folgenden Voraussetzungen nicht auf die Werte nach der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz zuzüglich 10% ( Wohngeldtabelle + 10% ) zurückzugreifen:

1) Das von einem SGB II-Leistungsträger angewendete Konzept zur Festlegung der Mietobergrenzen ist unschlüssig,

2) Erkenntnisausfall ist gegeben,

3) der Wert nach Wohngeldtabelle + 10% liegt noch unterhalb der Mietobergrenze im unschlüssigen Konzept, und

4) eine Nachbesserung des Konzeptes durch den Träger ist unmöglich oder trotz Aufforderung nicht erfolgt oder eine Aufforderung ist entbehrlich, weil sich der Träger darauf beruft, dass der Wert nach Wohngeldtabelle + 10% ohnehin noch unterhalb der Mietobergrenzen im unschlüssigen Konzept liege. Vielmehr sind in diesen Fällen die tatsächlichen Kosten der Unterkunft als Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusetzen. Denn eine von den tatsächlichen Kosten der Unterkunft abweichende angemessene Bedarfshöhe ist in diesen Fällen weder vom SGB II-Leistungsträger nachgewiesen, noch ist sie durch das Gericht ermittelbar, und die Werte nach Wohngeldtabelle + 10% sind offensichtlich und schon nach dem nicht schlüssigen Konzept nicht ausreichend, um das Existenzminimum zu sichern. Die objektive Beweislast für einen niedriger als die tatsächlichen Unterkunftskosten anzusetzenden angemessenen Bedarf an Unterkunftskosten liegt jedoch beim SGB-II-Leistungsträger, da § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II vom Grundsatz ausgeht, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft als Bedarfe anzusetzen sind. Die Absenkung auf die angemessenen Kosten ist eine für den SGB II-Leistungsträger günstige Abweichung ( soweit sie angemessen sind ) von diesem Grundsatz, sodass ihn die objektive Beweislast trifft. Die Anwendung des Wertes nach Wohngeldtabelle + 10% in den oben genannten Fällen führt hingegen faktisch zu einem Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG) bei der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Mietobergrenzenkonzepten.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172538

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

4.1 LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 24.10.2022 - L 9 SO 99/22 B ER

Leitsätze

1. Sein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde entfällt nicht dadurch, dass der Leistungsträger auf eine einstweilige Anordnung zahlt.

2. Der Regelanspruch auf Umzugskostenübernahme gemäß § 35 Abs. 2 Satz 6 SGB XII setzt gewichtige Gründe voraus, die wertungsmäßig einer Wohnungskündigung durch den Vermieter vergleichbar sind. Bloß plausible, nachvollziehbare und verständliche Interessen der leistungsberechtigten Person reichen dafür nicht aus, sind aber in die bei Fehlen der Umzugsnotwendigkeit zu treffende Ermessensentscheidung nach § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII einzubeziehen.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172488

 

4.2 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 09.11.2022 - L 2 SO 1183/22 - Revision zugelassen

Auch Heimbewohner können Anspruch auf Corona- Einmalzahlung haben

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.

Auch Pflegeheimbewohnern kann der Coronazuschlag zustehen, die wegen eigenem Einkommen nur Hilfe zur Pflege beziehen, aber den Barbetrag vom Sozialamt bekommen.

Leitsätze (www.sozialgerichtsbarkeit.de )

Der Anspruch auf Auszahlung der Covid-19-Einmalzahlung i.H.v. 150 € gemäß § 144 Satz 1 SGB XII knüpft akzessorisch an einen bestehenden materiell-rechtlichen Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an. Da nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23. März 2021 – B 8 SO 16/19 R –) bei Hilfe zur Pflege in Form stationärer Pflege neben den eigentlichen Maßnahmekosten und dem notwendigen Lebensunterhalt (inkludierter Lebensunterhalt) der weitere notwendige Lebensunterhalt, der insbesondere den Barbetrag nach § 27b Abs. 3 SGB XII und die Bekleidungspauschale nach § 27b Abs. 4 SGB XII umfasst, als Hilfe zum Lebensunterhalt gezahlt wird, handelt es sich bei den Ansprüchen auf den Barbetrag und die Bekleidungspauschale um Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII.

Dies hat zur Folge, dass immer dann, wenn ein Bewohner eines Pflegeheimes, dessen Einkommen jedenfalls nicht ausreicht, um den gesamten Bedarf einschließlich der Heimkosten zu decken und daher Hilfe zur Pflege erhält, einschließlich eines Barbetrages und einer Bekleidungspauschale, auch Anspruch auf die Einmalzahlung nach § 144 Satz 1 SGB XII hat.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172560

 

Hinweis Redakteur v. Tacheles e. V. : LSG BaWü Pressemitteilung: Auch Heimbewohner können Anspruch auf Corona-Einmalzahlung haben - 05.12.2022: https://landessozialgericht-baden-wuert ... ungen+2022

 

 

5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

5.1 Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 23.11.2022 – Az.: S 27 AY 102/21

Normen: §§ 3, 3a AsylbLG, § 2 AsylbLG – Schlagworte: nicht rechtsmissbräuchliches Verlängern des Aufenthaltes, Sozialgericht Hildesheim

weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2022/12/04/sozialgericht-hildesheim-urteil-vom-23-11-2022-az-s-27-ay-102-21/

 

5.2  BVerwG, 11.10.2022 - 1 C 9.21

Unzumutbarkeit der Passbeschaffung bei Erfordernis einer "Reueerklärung"

Einem subsidiär schutzberechtigten Ausländer darf die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer nicht mit der Begründung verweigert werden, er könne einen Pass seines Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer "Reueerklärung" knüpft, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verbunden ist, und der Ausländer plausibel darlegt, dass er die Erklärung nicht abgeben will.

Quelle: https://www.bverwg.de/de/pm/2022/62

 

Wir wünschen allen Lesern eine schöne, besinnliche und friedliche Weihnachtszeit!

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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