Newsticker
Tacheles Rechtsprechungsticker KW 53/2024
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe ( SGB XII )
1.1 BSG, Urt. v. 18.12.2024 - B 8 SO 1/24 R -
Zur Berücksichtigung behördlichen Verschuldens bei der Ermessensausübung im Rahmen der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach § 45 Absatz 2 Satz 3 SGB X.
BSG: Erstattungsbescheid des Sozialhilfeträgers rechtswidrig bei Behördenfehler
Berücksichtigung des Behördenverschuldens im Rahmen der Ermessensausübung ist bei Erstattungsbescheiden des Sozialhilfeträgers zu berücksichtigen.
Auch wenn die Klägerin die Leistungen Jahre lang zu Unrecht erhalten hat, muss nach der Auffassung des 8. Senats des BSG folgendes gelten
Die für die Erstattung erforderliche Ermessensausübung erweist sich als fehlerhaft.
Denn die Auszahlungen der Leistungen beruhen auf dem Versäumnis des Sachbearbeiters der Behörde, einen Haken in der EDV-Anwendung zu entfernen und auf mangelnden internen Kontrollmechanismen über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren.
Dieser grobe behördliche Fehler hätte im Rahmen der Erstattung nach § 50 Absatz 2 in Verbindung mit § 45 SGB X in die Ermessensabwägung eingestellt werden müssen.
Dieser Ermessensfehler alleine führt zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsverwaltungsaktes.
Fazit:
Behördliches Verschulden ist als abwägungsrelevanter Belang in die Ermessensentscheidung über die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nach § 45 Abs 2 S 3 SGB X regelmäßig auch dann einzustellen, wenn es sich nicht um einen groben Fehler handelt.
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2024/2024_12_18_B_08_SO_01_24_R.html
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
2.1 LSG BB, Urt. v. 15.08.2024 - L 20 AS 1438/21-
SGB II: JobCenter muss ALG II zuschussweise zahlen trotz Miteigentumsanteils ( ergangen zu Hartz IV )
Leitsätze www.berlin.de
Nutzen zwei Mieteigentümer eines Wohnhauses die Räume des Hauses getrennt und bilden sie keine Bedarfsgemeinschaft i. S. v. § 7 Abs. 3 SGB II bzw. Haushaltsgemeinschaft i. S. v. § 9 Abs. 5 SGB II, so ist bei der Prüfung der Angemessenheit des Hauses i. S. v. § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II (a. F.) grundsätzlich nur die dem jeweiligen Miteigentumsanteil entsprechende Wohnfläche zu berücksichtigen.
2.2 LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 04.09.2024 - L 12 AS 2547/24 ER-B -
Bürgergeld: Kein einstweiliger Rechtsschutz bei einem Kontostand von 34.315,49 €
Ein Empfänger von Bürgergeld hat keinen Anspruch auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund eines fehlenden Anordnungsanspruchs, wenn er über ein Bankguthaben in Höhe von 34.315,49 € verfügt und er auch einen freien Zugriff auf das Konto hat.
Quelle. Www.sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
3.1 keine
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )
4.1 SG Freiburg, Beschluss v. 19.08.2024 - S 15 AL 2084/24 ER -
Arbeitslosengeld: Keine nachträgliche Aufhebung von Arbeitslosengeld bei geänderter Prognoseentscheidung über Leistungsfähigkeit
Ändert die Bundesagentur für Arbeit nach Erlass einer Bewilligungsentscheidung zum Arbeitslosengeld ihre Beurteilung in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit eines Leistungsempfängers, stellt dies allein keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X dar und berechtigt damit nicht zur Aufhebung von Bewilligungsbescheiden ( Orientierungssatz Detlef Brock ).
Eine nachträgliche Meinungsänderung stellt keine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X dar und berechtigt damit nicht zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 14.03.2008 - L 8 AL 1601/07; LSG Bayern, Urt. v. 21.06.2018 - L 9 AL 27/16 -).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
5.1 LSG Baden- Württemberg, Beschluss v. 18.11.2024 - L 2 SO 730/24 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Sozialhilfe: Keine Gewährung von Sozialhilfeleistungen für Bekleidung während der Sicherungsverwahrung
Denn die JVA hält in der Bekleidungskammer einen umfangreichen Bekleidungsfundus vor und händigt bei Bedürftigkeit grundsätzlich neuwertige Kleidung an die Insassen aus.
Die dem Kläger zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, die nach seinen eigenen Angaben ca. 125 € Taschengeld und 75 € für Essen monatlich betragen, sind ausreichend, um erforderlichenfalls ergänzend eigene (neue) Bekleidung zu kaufen, sofern die von der Anstalt zur Verfügung gestellte nicht ausreicht bzw. nicht gefällt. Eine Bedarfsunterdeckung ist insoweit nicht erkennbar.
Sofern die einschlägigen gesetzlichen Regelungen des JVollzGB V BW bzw. die auf seiner Grundlage ergehenden ggf. belastenden oder abgelehnten Maßnahmen den Kläger in eigenen Rechten verletzen sollten, ist Schuldner dieses Anspruchs nicht die Beklagte als Sozialhilfeträger, sondern die Vollzugsbehörde, gegen die Rechtsschutz gemäß § 83 JVollzGB V BW nach Maßgabe der §§ 109 bis 121b StVollzG bei den Strafvollstreckungskammern der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu erlangen ist (s. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.09.2009 - L 15 SO 41/09 B PKH -).
Praxishinweis
LSG BW, Urt. v. 18.04.2024 - L 7 SO 376/24 -
Sozialhilfe: Kein Anspruch auf Bekleidung und Wohnungserstausstattung für Inhaftierte
Wer in der Justizvollzugsanstalt (JVA) eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, hat keinen Anspruch auf Bekleidung und Wohnungserstausstattung vom Sozialhilfeträger ( §§ 31 u. 67 SGB XII ).
Der Sozialhilfeträger muss für Inhaftierte keine einmaligen Bedarfe wie Bekleidung oder Wohnungserstausstattung bezahlen, wenn die Justizvollzugsanstalt Bekleidung und Möbel bereit stellt ( Orientierungssatz Detlef Brock ).
6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
6.1 SG Heilbronn – Beschluss vom 29.11.2024 – S 16 AY 2391/24 ER -
Schlagworte: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, Erstaufnahmeeinrichtung, Leistung nach §3 AsylbLG, Leistung nach § 3a AsylbLG, Regelbedarfsstufe 1
Gewährung von Leistungen nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im einstweiligem Rechtsschutz
Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/12/19/sozialgericht-heilbronn-beschluss-vom-29-11-2024-az-s-16-ay-2391-24-er/
6.2 SG Fulda – Beschluss vom 28.11.2024 – S 7 AY 6/24 ER
Normen: § 1a Abs. 4 AsylbLG, § 45 SGB X – Schlagworte: Sozialgerichtliches Eilverfahren, Leistungskürzung, Ermessensentscheidung, Sozialgericht Fulda
AsylbLG: Nimmt die Behörde beim Leistungsberechtigten von Transferleistungen einen Bewilligungsbescheid hinsichtlich der Leistungshöhe nach § 45 SGB X zurück, muss dem Leistungsträger auch bewußt sein, dass er Ermessen auszuüben hat ( hier verneint ).
Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht gemäß § 39 Abs. 1 S. 2 SGB I ein Anspruch.
Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/12/22/sozialgericht-fulda-beschluss-vom-28-11-2024-az-s-7-ay-6-24-er/
Wir wünschen allen Lesern einen guten Rutsch ins neue Jahr 2025
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock