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Wirtschaftsministerium macht mit Nazivokabular Front gegen Arbeitslose

Von Wirten und Parasiten

Wohlfahrtsverbaende kritisieren Clement. Wirtschaftsministerium macht mit Nazivokabular Front gegen Arbeitslose. Studie spricht von Sozialbetruegern und Abzockern
Peter Wolter

Sozialdemokraten sind mitunter voller Ueberraschungen - sie koennen noch tiefer sinken, als man es fuer moeglich hielt. Der bisherige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) schreckt jetzt nicht einmal mehr vor Anleihen beim faschistischen Vokabular zurueck, um Arbeitslose und sozial Schwache zu diffamieren. "Vorrang fuer die Anstaendigen" heisst ein Report, in dem Clements Ministerium diese Personengruppe undifferenziert als Abzocker, Parasiten und Leistungsbetrueger abtut. Die Entgleisungen riefen prompt heftige Kritik hervor.

"Als ueble Kampagne gegen Arbeitslose" qualifizierte der Hauptgeschaeftsfuehrer des Deutschen Paritaetischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV), Ulrich Schneider, am Dienstag den von Clement zu verantwortenden Text. Darin heisst es unter Anspielung auf ALG-II-Empfaenger woertlich: "Biologen verwenden fuer >Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen - ihren Wirten - leben<, uebereinstimmend die Bezeichnung >Parasiten<." Leicht abgeschwaecht faehrt der Text fort: "Natuerlich ist es voellig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu uebertragen." Aber dann wird noch eine Unverschaemtheit draufgesetzt: "Schliesslich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des einzelnen gesteuert."

In einer anderen Passage werden Arbeitslose anhand eines Beispiels mit "Urinflecken auf dem Teppich", verstaubten Moebeln und herumliegenden Essensresten in Verbindung gebracht. "Hier haben Vandalen ihr Quartier bezogen", heisst es dazu. An anderer Stelle wird der "neuwertige schwarze BMW Cabrio" erwaehnt, der angeblich vor der Tuer eines libanesischen Sozialbetruegers steht. Fast schon lyrisch wird es bei der Schilderung der Luxuswohnungen von ALG-II-Beziehern: "Mondaene Villen reihen sich in vielen Strassenzuegen aneinander wie Perlen an einer Kette."

Schneider forderte, die Wahl des Wortes "Parasit" duerfe "in einer Demokratie nicht ohne Konsequenzen fuer den Urheber bleiben." Missbrauch von Leistungen sei zwar nie auszuschliessen. Der "reisserische Charakter dieses Pamphlets" belege aber, dass dem Ministerium an einer sachlichen Aufklaerung nicht gelegen sei. "Die Menschen mit dem unzureichenden Arbeitslosengeld II zuerst in die Armut zu schicken und sie dann auch noch pauschal zu diskreditieren, ist unanstaendig und zynisch", erklaerte Schneider weiter. Clement habe sich mit dieser Publikation "einen denkbar unwuerdigen Abgang beschert."

In einem Schreiben an Clements Nachfolger Franz Muentefering (SPD) forderte die Gruenen-Abgeordnete Thea Dueckert, den Text moeglichst schnell aus dem Verkehr zu ziehen. "Der Report bedient alle bekannten Stammtischklischees in einer nicht hinnehmbaren, unreflektierten Weise. ... Hier wird ganz klar Stimmung gegen Bezieher von Fuersorgeleistungen gemacht."

Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Ulla Jelpke warf Clements Ministerium vor, sich "unverbluemter Fascho-Sprueche" zu bedienen. "Wer zu solchen Entgleisungen faehig ist, sollte sofort aus dem politischen Verkehr gezogen werden. Texte wie diese zeigen, wie weit fuehrende Sozialdemokraten schon ins Reaktionaere abgeglitten sind."

Den Artikel finden Sie unter:
http://www.jungewelt.de/2005/10-19/001.php

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